Durch CAR-T-Zellen lassen sich selbst vielfach vorbehandelte Patienten mit multiplem Myelom in eine komplette Remission bringen. Auch bei ZNS-Manifestationen akuter Leukämien ist diese Form der Immuntherapie wirksam und sicher.
CAR-T-Zellen (Chimeric Antigen Receptor T Cells) haben sich bei der Therapie von schwer zu behandelnden B-Zell-Malignomen wie mehrfach rezidivierten Leukämien und B-Zell-Lymphomen als hoch wirksam erwiesen – mit teilweise dauerhaften Komplettremissionen. Allerdings können sie schwere Nebenwirkungen hervorrufen, vor allem wenn sie durch eine hohe Anzahl von Zielzellen stark aktiviert werden. Bei der Jahrestagung der ASCO 2020 sind neue Studiendaten zur Wirksamkeit und Sicherheit von CAR-T-Zellen bei Patienten mit rezidivierten oder therapierefraktären akuten lymphoblastischen B-Zell-Leukämien (r/r B-ALL) und mit mehrfach rezidivierten multiplen Myelomen vorgestellt worden.
Passage der Blut-Hirn-Schranke
CAR-T-Zellen können die Blut-Hirn-Schranke passieren. Dies ermöglicht einerseits ihre Wirksamkeit auch bei malignen Erkrankungen des ZNS, andererseits birgt das Überwinden der Blut-Hirn-Schranke ein Risiko für neurotoxische Effekte mit Enzephalopathien. „ZNS-Rezidive akuter lymphoblastischer B-Zell-Leukämien sind nach kranieller Bestrahlung und mehreren Vorbehandlungen schwer behandelbar“, erläuterte Dr. (PhD) Haley Newman vom Children’s Hospital of Philadelphia (CHOP) bei der Tagung. „Unsere Hypothese war, dass CAR-T-Zellen eine ZNS-Manifestation der ALL kontrollieren können.“
Auf diese Fragestellung hin wurden retrospektiv 4 Studien analysiert, in denen 2 verschiedene Anti-CD19-CAR-T-Zell-Präparationen bei jungen Patienten mit r/r B-ALL untersucht worden waren: CTL019 (Tisagenlecleucel) und CTL119, das ebenso wie Tisagenlecleucel gegen CD19 auf B-Lymphozyten gerichtet ist, aber einen humanisierten chimären Antigenrezeptor enthält. In allen Studien durften Patienten mit ZNS-Beteiligung einer B-Zell-ALL eingeschlossen werden, sofern die ZNS-Leukämie nicht aktiv progredierte und die intrakranielle Tumormasse nicht hoch war – also nicht der Definition eines „bulky disease“ entsprach.
Die Daten von insgesamt 182 Patienten, die am CHOP im Rahmen von klinischen Studien behandelt worden waren, gingen in die Analyse ein (medianes Alter: 10 Jahre; Range: 1–29 Jahre; [1]). Bei 65 von ihnen war eine ZNS-Beteiligung zum Zeitpunkt des letzten Rückfalls oder mindestens 12 Monate vor Behandlung diagnostiziert worden (CNS+), 117 Patienten hatten keinen ZNS-Befall (CNS−). Die Gruppe mit ZNS-Befall hatte häufiger ≥2 Rückfälle als die anderen Patienten (74% vs. 46%, p <0,01) und damit auch häufiger eine Hirnbestrahlung erhalten (58% vs. 11%, p <0,01). Einen Monat nach CAR-T-Zell-Infusion waren 62 der 65 CNS+-Patienten in kompletter Remission (95%) und 110 der 117 CNS−-Patienten (94 %).
In beiden Gruppen starb jeweils ein Patient an einem Cytokine-Release-Syndrom (CRS). Bei allen Teilnehmern, bei denen eine ZNS-Beteiligung erst kurz vor CAR-T-Zell-Infusion festgestellt worden war, bildete sich diese Erkrankung innerhalb von 3 Monaten zurück. 2 Jahre nach der CAR-T-Zell-Therapie waren 61% in der CNS+-Gruppe noch rückfallfrei und 60% in der Gruppe CNS−. Das mediane Gesamtüberleben betrug 81% in der CNS+-Gruppe und 69% in der Gruppe CNS− nach jeweils 24 Monaten. Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede in den Enzephalopathieraten (auch wenn sie in der CNS+-Gruppe leicht erhöht war) und keine durch Neurotoxizitäten bedingten Todesfälle.
„Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer refraktären oder rezidivierten B-Zell-ALL, die das ZNS einschließt, können effektiv und sicher mit den CAR-T-Zellen CTL019 und CTL119 behandelt werden“, so Newmans Fazit. „Dies gilt allerdings nur für Patienten ohne aktive ZNS-Erkrankung, ohne hohe ZNS-Tumorlast und ohne wesentliche neurologische Komorbiditäten. Unter diesen Voraussetzungen können CAR-T-Zellen eine dauerhafte Remission induzieren, ohne das Neurotoxizitätsrisiko zu erhöhen.“
Neues CAR-T-Zell-Konstrukt
Eine weitere schwierig zu behandelnde Tumorentität ist das mehrfach rezidivierte multiple Myelom. Besonders schlecht ist die Prognose von Patienten, die nicht oder nicht mehr auf Proteasom-Inhibitoren (PI), Immunmodulatoren (ImiD) und einen Anti-CD38-Therapie ansprechen. Für diese Patienten sind CAR-T-Zellen in klinischer Erprobung. Das CAR-T-Zell-Präparat JNJ-4528 wird in der CARTITUDE-Studie geprüft. Der chimäre Antigenrezeptor in JNJ-4528 enthält 2 verschiedene Einzelketten-Antikörperfragmente, die für das B-Cell-Maturation-Antigen (BCMA) spezifisch sind. Durch diese Konstruktion soll die Avidität für BCMA im Vergleich zu früheren Generationen von CAR-T-Zellen mit identischen Antigenbindungsstellen erhöht werden. Das B-Zell-Reifungsantigen BCMA wiederum kommt auf Plasmazellen vor, häufig auch auf den malignen Zellen des Myeloms.
Die Teilnehmer in der CARTITUDE-Studie waren median 60 Jahre alt und hatten ein mehrfach rezidiviertes und progredierendes multiples Myelom (2). Sie hatten 3–18 Vorbehandlungen erhalten (Median = 5), inklusive PI, IMiD und Anti-CD38-Therapie, 86% auch eine autologe Stammzelltransplantation. Bei 10% lag ein extramedulläres Plasmozytom vor. 29 Patienten erhielten nach einer vorbereitenden Lymphodepletion die anvisierte Studientherapie. Beim primären Endpunkt, der Sicherheit, wurden keine unerwarteten Nebenwirkungen beobachtet. 93% der Teilnehmer entwickelten zwar ein CRS, aber nur 2 Patienten höher als Grad 2. Ein Patient allerdings starb am CRS, ein weiterer an einem Progress des multiplen Myeloms und ein dritter an einer akuten Leukämie, die nicht therapieassoziiert war. Die übrigen Nebenwirkungen waren meist hämatologisch und im allgemeinen kontrollierbar.
Die Antitumorwirkung der CAR-T-Zellen war sehr hoch, die Gesamtansprechrate betrug 100%, und 86% der Teilnehmer (25/29) erreichten mit einer stringenten kompletten Remission (sCR) ein tiefes Ansprechen, berichtete Prof. Jesus G. Berdeja, Sarah Cannon Research Institute in Nashville, Tennessee.
Zu Monat 9 betrug die Rate des progressionsfreien Überlebens 86%, nach median 11,5 Monaten lebten 22 von 29 Teilnehmern (76%) progressionsfrei. Die Zeit bis zum ersten Ansprechen lag bei median 4 Wochen und bis zur kompletten Response bei median 3 Monaten. Bei 16 Patienten mit sehr gutem Ansprechen konnte die minimale Resterkrankung (MRD) bestimmt werden. 13/16 (81%) waren MRD-negativ mit einer Anzahl maligner Zellen von maximal 1/105 Zellen und bei 11/16 (69%) mit maximal 1 malignen Zelle unter 106 Zellen. Die MRD (Schwellenwert: ≤1/104 Zellen) gilt als prognostisch relevant, eine MRD-Negativität wird zunehmend als Therapieziel diskutiert.
JNJ-4528 sei ein aussichtsreicher Kandidat für eine innovative Immuntherapie bei diesen schwer behandelbaren Patienten, so Berdeja. In den USA werde eine Zulassung erwartet. Die FDA habe JNJ-4528 den Status einer Breakthrough-Therapie gegeben. ▄
DOI:10.3238/PersOnko.2020.07.20.04
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2920